Und wieder ist ein Jahr vergangen. Seit meiner Transition sind nunmehr über 3 Jahre vergangen.
Wenn ich ein Fazit zu diesem Jahr ziehen kann, dann, dass ich gefühlt endgültig in der Normalität angekommen bin.
Der Satz mag irritieren, aber lässt sich ganz einfach erklären. Seit ich in 2019 mein Coming-Out hatte und in 2020 die finale Entscheidung zur Änderung meines Lebens bzw. meiner Rolle getroffen habe, waren die ersten Jahre geprägt von einer starken Fixierung auf die Veränderung. Ich war sehr mit mir beschäftigt und die Änderungen dominierten meinen Alltag sehr stark.
Das ist auch völlig in Ordnung, denn eine solche Änderung macht man nicht mal eben so nebenbei. Zumal die Hormontherapie auch tiefgreifende psychologische Veränderungen mit sich bringt.
Anfang 2023 wurde ich dann auch durch eine heftige Nebenwirkung meiner Hormontherapie aus der Bahn geworfen. Durch versteckte Beinvenenthrombosen bekam ich eine beidseitige Lungenembolie. Das hätte auch richtig schief gehen können. Gottseidank wurde es sehr gut behandelt und ich bin heute davon vollständig genesen. Aber mir wurde sehr deutlich vor Augen geführt, dass man die Risiken einer Hormontherapie nicht unterschätzen darf. Dank einer sehr kompetenten Endokrinologin, zu der ich nach der Erkrankung gewechselt bin, ist meine Therapie umgestellt worden und damit weniger riskant (Hormongel statt Tabletten etc.)
Mittlerweile geht es mir gesundheitlich sehr gut, ich treibe viel Sport und bin viel bewusster bei Ernährung, Bewegung etc. Ich bin ja auch schließlich nicht mehr die Jüngste :-))
Beruflich konnte ich noch einige Vorträge halten und auch als freiberufliche Beraterin Unternehmen in strategischen Fragestellungen etc. unterstützen. Es gab zahlreiche Herausforderungen, aber auch Anerkennung für die geleistete Arbeit.
Privat gewöhne ich mich immer mehr an meine Rolle als Single, genieße mein regelmässiges Golfspiel (auch wenn es immer noch kaum Verbesserungen gibt) und fühle mich insgesamt pudelwohl. Den Schritt zu Nora bereue ich keinen Moment.
Noch einmal zurück zu der Aussage, dass ich in der Normalität angekommen bin. Zu Beginn meiner Transition wollte ich unbedingt so viel Frau wie möglich sein. Durch meine männliche Vergangenheit und dem früheren Wüten des Testosterons wird man mir aber diese Vergangenheit immer ansehen. Am Anfang war das ein echtes Problem. Mittlerweile ist dieser Prozess für mich weitestgehend abgeschlossen. Ich werde nie die "echte" Frau sein, man wird immer den "früheren" Mann erkennen, aber all das stört mich nur noch marginal.
Ich bin heute Nora und ich bin wie ich bin und kann dazu stehen. Ich gefalle mir und fühle mich in meinem Körper und meinem Erscheinen heute sehr wohl. Selbst- statt Fremdbestimmung ist mein Motto geworden und es funktioniert erstaunlich gut.
Was mich sehr gefreut habe, ist, dass ich Ende 2023 dann auch noch Mitglied in einem Rotary-Club wurde (ist eine weltweit verbreitete, wohltätige Organisation von Berufstätigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, lokale und überregionale Projekte zu unterstützen). Ich habe dort sehr nette Menschen kennengelernt und spüre, dass man gemeinsam viel bewegen kann.
Zudem darf ich mich mittlerweile auch in einer privaten Organisation mit tollen weiteren Menschen engagieren, die regelmässig Obdachlose in Köln versorgen.
Meinen Angehörigen und dem Großteil meines Freundeskreises geht es gut, was auch nicht selbstverständlich ist und wofür man immer wieder dankbar sein sollte.
Was mir momentan echt Sorge bereitet, ist das Erstarken von Autokraten in der Welt, die Spaltung der Gesellschaft und die Ausbreitung von rechtsradikalem Denken. Dagegen müssen wir gemeinsam tagtäglich arbeiten und unsere Demokratie verteidigen. Jeder Ansatz von Fremdenfeindlichkeit etc. sollte von uns im täglichen Miteinander bereits im Keim erstickt werden.
Das alles ist für mich unter dem Strich meine neue Normalität. Ich bin in der Gesellschaft anerkannt, hab liebe Menschen um mich herum, bin mit mir selbst im Reinen und voller Tatendrang!
Eure Nora